Ich lese.
Ich lese nicht immerzu, aber ich lese täglich.
Ich bin längst nicht mehr der Meinung, dass man die Qualität eines Menschen an der Anzahl seiner täglich gelesenen Buchseiten messen kann - nicht einmal die intellektuelle Qualität. Die Aussage "Ich lese fünf dicke Wälzer in der Woche" sagt mir nur zwei Dinge: Entweder hat der Mensch so unwahrscheinlich viel Zeit und so wenig andere Interessen, dass er diese Menge Lektüre mit einiger Aufmerksamkeit bewältigen kann, oder er liest dermaßen oberflächlich, dass eine eventuell vorhandene literarische oder gar poetische Qualität der Texte an ihn verschwendet wäre. Die Frage ist nicht, wieviel ein Mensch liest, sondern was er liest. Und was er darüber möglicherweise zu sagen hat.

Zur Zeit lese ich zwei Bücher. Meine aktuelle Bettlektüre trägt den Titel "Dirk Gently´s Holistic Detective Agency" von Douglas Adams. Ich besitze das Buch auch in der deutschen Version, als welche es "Dirk Gently´s holistische Detektei" heißt und von Benjamin Schwarz übersetzt wurde. Ein ausgezeichneter und gewissenhafter Übersetzer übrigens. Dass ich das Buch jetzt auf englisch lese, hat also nichts mit der Übersetzung zu tun sondern lag in einer Laune des Augenblicks. So oder so ist es ein unterhaltsames, witziges und originelles - als Lesestoff zum Zeitvertreib absolut empfehlenswertes - Buch. Und ich sage das, nachdem ich es mindestens schon sechsmal gelesen habe und es gewiss noch öfter lesen werde.

Die Chance, von mir öfter gelesen zu werden, bekommt meine aktuelle Zweitlektüre wahrscheinlich nicht.
Es gibt Orte, an denen man, außer lesen, nicht viele Dinge tun kann, die sich zum Thema öffentlicher Besprechung eignen. Und hier lese ich

Richard David Precht
"Wer bin ich - und wenn ja, wie viele"
Eine philosophische Reise

Auf der Rückseite des Buches prangt ein Zitat von Elke Heidenreich, über deren literarischen Geschmack ich meine eigene Meinung habe, zumal ich vermute, dass er gut honoriert wird. Sie schrieb: "Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, haben Sie den ersten Schritt auf dem Weg zum Glück schon getan."
Du lieber Himmel!
Ich habe mich trotzdem ans Lesen gemacht, denn das Buch ist nunmal da, und Philosophie interessiert mich sehr.
Richard David Precht sagt auf Seite 10 des Buches - auf der zweiten beschriebenen Seite - von sich "...; seit ich die evangelische Kirche von innen gesehen habe, mag ich den Katholizismus." Der Satz scheint nach einem billigen Lacher zu angeln, denn inhaltlich hat er nicht viel Glaubwürdiges zu bieten. In philosophischer Hinsicht ließ er mich darüber hinaus eine gewisse Voreingenommenheit argwöhnen; ein Argwohn, der sich auch schon beim nächsten Umblättern bestätigte. Da Precht weiß, dass er auf seiner philosophischen Reise um Nietzsche nicht herum kommt, packt er den Stier kurzerhand bei den Hörnern und nutzt ihn als erste breite Stufe der Treppe, auf der er dann zu seinen späteren Aussagen klettert. Da man Treppenstufen bekanntlich ungestraft mit den Füßen treten kann, meint Precht sich das auch mit Nietzsche erlauben zu dürfen. "Friedrich Nietzsche im 19. Jahrhundert war einer der scharfsinnigsten Kritiker der Philosophie, aber seine eigenen Wunschbilder vom Menschen waren kitschig, anmaßend und albern.", schreibt Precht. Drei Adjektive, die ich ohne zu zögern dem oben genannten Heidenreich-Zitat zuschreiben würde, die ich aber, bezogen auf Friedrich Nietzsche, nur verdauen kann, wenn ich mutmaße, dass der, der sie benutzte, katholischer Christ ist. Nietzsche hat "Der Antichrist" und "Zur Genealogie der Moral" geschrieben. Kein Katholik, der seinen Glauben ernst nimmt, darf seine Religion an solchen Publikationen ungerächt lassen. Lesen Sie die Bücher selbst: Sie werden das innerliche Aufbäumen Prechts nachvollziehen können, und Ihnen wird klar sein, dass Sie hier nicht des Philosophen objektivste Schreibe vor sich haben.
Und so geht es in diesem Sinne weiter. Immer scheint Precht sich Mühe zu geben, die Größe Nietzsches zu würdigen und zu betonen, doch immer färbt er aus Würdigung und Betonung nur einen Hintergrund, vor dem sich seine persönlichen Ressentiments besonders bösartig abheben können. Nietzsche habe ein "Evangelium des Schmutzes" gepredigt, heißt es. Und wenn ich lese: "Wie so oft spricht er von sich im Plural, wie von einer sehr speziellen Tierart, die er als Erster beschreibt: ´Unser Schatz ist, wo` ...", dann zweifle ich daran, dass Precht Nietzsche jemals aufmerksam gelesen, ganz zu schweigen davon, ob er jemals auch nur versucht hat, Nietzsche zu verstehen.
In seiner Vorrede zu "Menschliches, Allzumenschliches" schreibt Nietzsche selbst: "- So habe ich denn einstmals, als ich es nötig hatte, mir auch die ´freien Geister` erfunden, denen dieses schwermutig-mutige Buch mit dem Titel: ´Menschliches, Allzumenschliches` gewidmet ist: dergleichen ´freie Geister` gibt es nicht, gab es nicht, - aber ich hatte sie damals, wie gesagt, zur Gesellschaft nötig, um guter Dinge zu bleiben inmitten schlimmer Dinge ..." Und er selbst und diese Gesellschaft sind gemeint, wenn Nietzsche im Plural schreibt. "Unser Schatz ..." Das hat Herr Precht entweder nicht gewusst - was eine grobe Fahrlässigkeit wäre - oder er hat es, im Dienste seiner eigenen Argumentation, einfach unterschlagen - was schlichtweg dummdreist wäre. Weder Fahrlässig- noch Dummdreistigkeit scheinen mir die Eigenschaften zu sein, die einen guten Philosophen oder auch nur einen guten Kritiker der Philosophie auszeichnen sollten.

Ich bin inzwischen auf Seite 26 angelangt und kaum noch neugierig darauf, ob Precht es schafft, sich durch den Rest seiner Ausführungen wieder ein wenig mit mir zu versöhnen.

Aber ich halte Sie auf dem laufenden.